Auf einen Blick:
- 2,6 Millionen Dieselfahrzeuge sollen in Deutschland ein Software-Update bekommen, das den Stickstoffausstoß der Motoren reduziert.
- Auch der VW Caddy von Elektroingenieur Wolfgang Gumnior ist vom Rückruf betroffen. Der Update wird durchgeführt. Doch kurz danach läuft das einst zuverlässige Auto nicht mehr rund. Dann die Diagnose: Kolbenfresser.
- Verschiedene Medien berichten von technischen Problemen und Verschleiß nach VWs Software-Update. Anwälte sehen einen Zusammenhang, raten zur Klage.
- Volkswagen bestreitet einen Zusammenhang. Auch vor dem Update habe es in der Vergangenheit vereinzelt Beanstandungen an Motorteilen gegeben.
10.000 Euro Reparaturkosten nach Update
Vier Jahre alt, 50.000 Kilometer gefahren, kapitaler Motorschaden. Auf seinen VW Caddy ist Elektroingenieur Wolfgang Gumnior nicht mehr gut zu sprechen. Dabei lief das einzige VW-Fahrzeug im Fuhrpark des Handwerksbetriebs bis Anfang des Jahres problemlos.
Der VW Caddy gehört zu den 2,6 Millionen Fahrzeugen, die vom VW-Abgasskandal betroffen sind. Die Fahrzeuge der Motorenbaureihe EA189 stoßen mehr Stickstoff aus, als sie dürfen. Volkswagen versieht sie daher im Rahmen einer Rückrufaktion mit einem Software-Update, das den Stickstoffausstoß reduziert.
Auch Wolfgang Gumnior musste seinen Caddy zum Update in die Vertragswerkstatt schicken. Das geschah im Januar. Und danach? „Anfangs haben wir keinen Unterschied feststellen können“, sagt Gumnior. „Nach einem Monat begann der Caddy in der Warmlaufphase zu vibrieren“, berichtet der Unternehmer. Selbst die Handyhalterung im Wagen habe mitgewackelt.
Ende April schickte der Betrieb den Wagen in die Inspektion. Diagnose: Abschürfungen im Motorraum, Kolbenfresser. Kosten: 10.000 Euro. Gumnior habe alle Wartungsintervalle eingehalten und den Wagen nur in Vertragswerkstätten geschickt, sagt er. „Da ist es doch merkwürdig, dass ein Fahrzeug, das tadellos funktioniert, nach dem Software-Update unrund läuft und schließlich einen teuren Motorschaden hat“, sagt der Unternehmer.
Technische Probleme: ein Einzelfall?
Er ist nicht der Einzige, der technische Probleme nach dem Software-Update feststellt. Medien wie Wirtschaftswoche, Autobild und Focus Online berichten in dem Zusammenhang über verschiedene Schadensfälle. Technische Probleme nach dem Update sind auch der Kanzlei Rogert & Ulbrich bekannt. Sie betreut im Rahmen der Diesel-Abgasaffäre aktuell 2000 Mandanten. Davon meldeten etwa 100 Leute technische Probleme nach dem Update. „Darunter sind zwei oder drei kapitale Motorschäden“, sagt Rechtsanwalt Tobias Ulbrich. Meist würden die Probleme das Abgasrückführsystem, kurz AGR-System, betreffen.
Gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Software-Update und technischen Problemen der Motoren? VW bestreitet das. 1,8 Millionen Fahrzeuge hat der Konzern nach eigenen Angaben bereits umgerüstet. Das Software-Update habe „keinen negativen Einfluss auf die Funktion und Wirkungsweise des AGR-Systems“, erklärt VW-Sprecher Nicolai Laude. Umrüstungspflichtige Volkswagen hat auch der Automobilclub ADAC in seiner Pannenhelfer-Fahrzeugflotte. Fazit nach dem Software-Update: Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass sich etwas negativ verändert hätte, erklärt der Club.
Technik erklärt: So wirkt das Update im Motor
Eine Verunsicherung ist dennoch spürbar. Doch ist die Sorge berechtigt? Kann das Update überhaupt Schäden verursachen? Eine mögliche Antwort liegt in der Funktionsweise des Updates.
Der Grund für den unerlaubt hohen Stickstoffausstoß der VW-Fahrzeuge mit EA189-Motor liegt in der geringeren Nutzung des Abgasrückführsystems. Durch die verbotene Manipulation wurde das Abgasrückführungssystem wenig angesteuert, bestätigt der Kfz-Sachverständige Hartmut Lehnert. „Nach dem Update wird es mehr angesteuert, es gehen mehr Abgase durch den Kühler“, sagt Lehnert.
Balanceakt mit dem Ruß
Wie kann das den Verschleiß begünstigen? Die Abgasrückführung ist dazu da, die Verbrennungstemperatur im Motorraum zu reduzieren. Dadurch entstehen bei der Verbrennung weniger Stickoxide. Aber: Gleichzeitig entstehen mehr Rußpartikel. Wird die Abgasrückführung stärker genutzt, der Stickstoffausstoß reduziert, erhöht sich demnach die Rußbildung. Der Zusammenhang zwischen Stickstoff-Ausstoß und Rußbildung gilt für direkt einspritzende Dieselmotoren generell, bestätigt auch Volkswagen.
Die möglichen Folgen zu hoher Rußbildung kennt Kfz-Meister Eduard Schmalz von Henze Motoren. „Ist zu viel Ruß im Abgas, können sich die Partikel im AGR-System festsetzen.“ Diese Verkokung könne auch zu Motorschäden führen. „Lösen sich die harten Klümpchen und gelangen in den Zylinder, können sie Kolbenringe und Ventilsitze beschädigen“, sagt Schmalz.
Und woher kommt der Kolbenfresser?
Doch der schädliche Rußausstoß lässt sich verringern: Um das zu erreichen, müsse man „neben anderen Parametern auch die eingespritzte Kraftstoffmenge anpassen“, erklärt Schmalz. Nicht ungefährlich: Bei zu viel Kraftstoffeinspritzung in den Zylinder könne ein unverbrannter Kraftstoffüberschuss den Ölfilm ausspülen. Das könne zum gefürchteten Kolbenfresser führen.
Tatsächlich hat VW nach eigenen Angaben die Parameter der Kraftstoffeinspritzung mit seinem Software-Update verändert. Das erklärt der Konzern in einem offiziellen FAQ: "Unter Optimierung des betriebspunktabhängigen Einspritzdruckes und der Abgasrückführrate kommt es nun zu einer zusätzlichen angelagerten Nacheinspritzung. Durch diese Strategie kann die emittierte Rußmasse ohne NOx-Nachteil gesenkt werden."
Im gleichen Dokument schließt Volkswagen daraus resultierende technische Probleme aus: „VW Nutzfahrzeuge hat immer erklärt, dass mit der Umsetzung des Updates hinsichtlich Treibstoffverbrauch, CO2-Emissionen, Motorleistung und Drehmoment, Geräuschemissionen sowie Dauerhaltbarkeit des Motors und seiner Komponenten keine Verschlechterungen verbunden sind.“
Diesel-Affäre: 400 Urteile an Landgerichten
Mit oder ohne technische Probleme, Rechtsanwalt Tobias Ulbrich rät Kunden zur Klage, um betroffene Fahrzeuge gegen Erstattung des Kaufpreises zurückgeben zu dürfen. 600 Klagen hat Ulbrichs Kanzlei inzwischen eingereicht. 33 Urteile gebe es, 23 davon seien zugunsten der Kläger ausgefallen.
Volkswagen spricht von inzwischen etwa 400 Urteilen in Verfahren an deutschen Landgerichten. In 75 Prozent der Fälle hätten Landgerichte die Klagen abgewiesen. Der Konzern sieht weiterhin keinen technischen Zusammenhang zwischen seinem Software-Update und Motorschäden. Im Falle von Beanstandungen würden die technischen Ursachen in jedem Einzelfall untersucht, analysiert und bewertet, erklärt VW-Sprecher Nicolai Laude. „In diesen Einzelfällen wird jeweils individuell über eine entsprechende kundenorientierte Lösung entschieden.“
Und was ist mit Wolfgang Gumniors Kolbenfresser? Nach zweiwöchiger Verhandlung zwischen Vertragswerkstatt und Konzern sei VW bereit gewesen, die Hälfte der 10.000-Euro-Reparaturkosten zu übernehmen, berichtet der Unternehmer. Wolfgang Gumnior hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Er bleibt in Kontakt mit Volkswagen. Ziel: eine vollständige Übernahme des Schadens.