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Personal

Kranke Azubis: "Es ist zum Verzweifeln"

Sind Auszubildende öfter krank als andere Mitarbeiter? Diese Frage bestätigt mancher Chef im Handwerk. Und Krankenkassen machen dieselbe Erfahrung.

Auf einen Blick:

  • Die Krankmeldungen seiner Auszubildenden plagen Unternehmer Kai Schaupmann. Im Vergleich zu allen anderen Mitarbeitern fallen die Lehrlinge überdurchschnittlich oft aus.
  • Die Zahlen zweier Krankenkassen stützen die Erlebnisse des Unternehmers: Auszubildende melden sich deutlich häufiger krank als der Durchschnitt der Beschäftigten.
  • Dass das Thema viele Betriebe belastet, spürt auch Stefan Cibis, Vorstand für die Arbeitnehmerseite im Deutschen Handwerkskammertag.
  • Cibis hält die Diskussion des Themas grundsätzlich für sinnvoll. Betriebe sollten die individuellen Ursachen aber auch im direkten Gespräch mit den Betroffenen ergründen.

Wenn Kai Schaupmann erzählen soll, wann bei ihm das letzte Mal ein Azubi krank ausgefallen ist, muss der Chef von 34 Mitarbeitern nicht lange grübeln: „Letzte Woche Montag ging ein Auszubildender zum Arzt. Seit Samstag habe er sich schlecht gefühlt. Dauer der Krankschreibung: eine komplette Woche.“ Der Unternehmer hat Verständnis dafür, dass ein Mitarbeiter mal krank werden kann. Doch für ihn nehmen die Ausfälle inzwischen besorgniserregende Dimensionen an. „Es ist zum Verzweifeln“, sagt Schaupmann.

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Er hat nachgesehen: die Azubi-Fehltage stechen im Vergleich zu denen der anderen Mitarbeiter der Joh. Wolfgang Fischer GmbH überdeutlich hervor. „Ich hatte zwischen 2014 und 2018 neun Mitarbeiter, die nicht einen Tag krank waren“, sagt Schaupmann, „jeder von denen war über 50 Jahre alt“. Einer seiner Auszubildenden schaffte 2018 nur zwei von zwölf Monaten ohne AU-Fall. „Eigentlich müssten Krankheitsausfälle doch eher im Alter zunehmen“, sagt Schaupmann, „doch bei uns ist es umgekehrt.“ Andere Betriebe der SHK-Innung Osnabrück würden ähnliches berichten, sagt der Obermeister.

Azubi-Krankschreibungen: die Zahlen

Sind die Azubis des Sanitär-Heizung-Klima-Betriebes ein statistischer Ausreißer unter den Lehrlingen in Deutschland? Die Dachverbände der Krankenkassen AOK und BKK – zusammen zählen sie bundesweit rund 35 Millionen Versicherte – liefern die nötigen statistischen Auswertungen. Die nachfolgenden Zahlen zeigen die AU-Fälle, also die Zahl der Arbeitsunfähigkeits-Erstbescheinigungen des jeweiligen Jahres.

  • BKK-Dachverband: Ausgewertet wurden die AU-Fälle für Beschäftigte in unterschiedlichen Altersgruppen. Resultat: Pro 1.000 Versicherte kamen die Beschäftigten im Alter unter 20 Jahren auf gut 2.200 AU-Fälle im Jahr 2017. Der Durchschnitt aller Beschäftigten jeden Alters erreichte derweil nur knapp 1.400 AU-Fälle pro 1.000 Versicherte. So hatten die Beschäftigten unter 20 Jahren gut 50 Prozent mehr Krankheitsfälle als die Gesamtheit der Beschäftigten.
  • AOK-Dachverband: Die AOK hat die AU-Fälle von Auszubildenden in 47 handwerklichen Berufen untersucht. Resultat: Pro 1.000 Versicherte kamen die Auszubildenden im Handwerk 2018 auf knapp 3.300 AU-Fälle. Der Durchschnitt aller Beschäftigten jeden Alters lag in diesen Berufen dagegen bei nur knapp 1.900 AU-Fällen pro 1.000 Versicherte. Im Vergleich zum Durchschnitt aller Beschäftigten war die Häufigkeit der Krankmeldungen unter den Azubis demnach fast 75 Prozent höher. Zudem zeigen die Auswertungen der AOK, dass die Beschäftigten der Handwerksberufe im Mittel gut zwölf Prozent mehr AU-Fälle als die Beschäftigten aller Berufe haben.

Hängen Bildung und Krankheit zusammen?

Die Statistiken der Krankenkassen geben Kai Schaupmann offenbar Recht. Sie zeigen, dass junge Beschäftigte und Auszubildende im Handwerk wesentlich häufiger krankgeschrieben werden, als der Durchschnitt der Beschäftigten.

Und sie stützen eine weitere Beobachtung des Unternehmers: Kai Schaupmann hat in seinem Betrieb festgestellt, dass die Azubi-Ausfälle umso geringer sind, je besser ihr Leistungsniveau in der Schule ist. Dass es hier einen Zusammenhang gibt, stützen auch die Krankenkassen-Statistiken. Die AOK-Auswertung in Handwerksberufen etwa zeigte, dass Auszubildende mit Haupt- oder Volksschulabschluss 2018 über 40 Prozent mehr Ausfälle hatten, als diejenigen mit Abitur.

Bei der Betrachtung der Ausfalltage eines Jahres fällt aber auf: Die jungen Beschäftigten und Auszubildenden haben weniger Gesamtkrankheitstage als der Durchschnitt. Das hängt vor allem mit der Art der Krankheit zusammen. Dominieren bei den jungen Beschäftigten Infektionen der Atemwege – vom Schnupfen bis zur Lungenentzündung – die Diagnosen, sind es bei älteren Beschäftigten vermehrt langwierige Beschwerden wie Muskel-, und Skeletterkrankungen.

Kranke Azubis: Wo liegen die Ursachen?

Auch Stefan Cibis, Vorstand für die Arbeitnehmerseite im Deutschen Handwerkskammertag hört im Umfeld der Unternehmen immer wieder von Problemen mit dem Krankenstand der Auszubildenden. „Das Thema scheint die Betriebe zunehmend zu belasten“, sagt der Oldenburger. Er hält eine Diskussion des Themas grundsätzlich für sinnvoll. Gleichermaßen warnt er vor vorschnellen Urteilen und mahnt: Ohne wissenschaftlich fundierte Fakten lasse sich das Phänomens nicht seriös ergründen.

Bestimmt gebe es Fälle, in denen Auszubildende aus Lustlosigkeit schneller den Arzt aufsuchten, sobald sich gesundheitlich eine Möglichkeit bietet. Die Gründe könnten aber auch tiefer liegen, im schulischen oder privaten Bereich etwa. „Beispielsweise liegt die Unterrichtsversorgung an den Berufsschulen in Niedersachsen derzeit nur bei 86 Prozent“, gibt Cibis zu bedenken.

Der Lehrerengpass führe dazu, dass Lehrstoff in kürzerer Zeit vermittelt werden muss. So verpassten Azubis, die zum Lernen mehr Zeit und Hilfe benötigten, leichter den Anschluss. Das Resultat könnten schlechte Noten sein, die zu Frustration, steigender psychischer Belastung und schließlich Perspektivlosigkeit führen könnten.

Tipps für Unternehmer

Stefan Cibis rät Unternehmen, Auszubildende, die häufig durch Krankheit ausfallen, gezielt nach Gründen zu fragen. „So ein Gespräch sollten aber nicht unbedingt die Chefs führen. Bestenfalls übernimmt das ein Mitarbeiter, zu dem der Auszubildende das nötige Vertrauen hat“, sagt Cibis. Damit verlagern Unternehmer die Diskussion um Azubi-Fehltage auf eine beherrschbare Ebene: den einzelnen Auszubildenden.

Wie gut das Früchte trägt, dürfte jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Kai Schaupmann etwa sorgt bereits in vielen Bereichen dafür, dass seine Mitarbeiter und Auszubildenden sich im Betrieb wohlfühlen können. „Ich lege Wert auf gute Ausbildung und setze jeden Lehrling sinnhaft ein“, sagt Schaupmann. Im Team würden die Azubis stets als vollwertige Mitglieder aufgenommen, es werde viel Wertschätzung gezeigt und mit diversen Feiern im Jahr in das Betriebsklima investiert. „Jeder Azubi, der Lust auf die Ausbildung hat, fühlt sich bei uns wohl“, sagt Schaupmann. Leider werde die Mühe nicht von jedem honoriert.

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