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Flüchtlinge im Handwerk: Wie groß ist das Abschieberisiko?

Bundesweit häufen sich Fälle, in denen Flüchtlingen während der Ausbildung die Abschiebung droht. Wie real ist diese Gefahr für das Handwerk?

Auf einen Blick

  • Das Integrationsgesetz sollte Rechtssicherheit für Flüchtlinge und Betriebe bei der Ausbildung schaffen. Doch immer wieder wird berichtet, dass Flüchtlinge während einer Qualifikationsmaßnahme kurz vor einer Ausbildung abgeschoben werden sollen.
  • Das Problem ist lokal begrenzt. Insbesondere Bayern hält sich bei der Abschiebung eine Tür offen. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt beispielsweise gibt es laut Handwerkskammern eine weitgehend reibungslose Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden.
  • Wie minimieren Betriebe das Abschieberisiko? Projekte wie die bundesweit agierenden Willkommenslotsen helfen Flüchtlingen und Betrieben über die bürokratischen Hürden. Bei Flüchtlingen aus solchen Programmen sind Abschiebungen meist kein Thema.
  • Beratung anfordern: Auch wer einen Flüchtling kennt, den er ausbilden will, kann sich an verschiedene Berater wenden, um im konkreten Fall Unterstützung anfordern.

Rechtssicherheit für Flüchtlinge und Ausbilder. Das war das Ziel des Integrationsgesetzes, das die Bundesregierung Mitte 2016 beschloss. Gibt es heute diese Rechtssicherheit, wonach Flüchtlinge während der Ausbildungszeit und zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden dürfen? Ein Blick in die Medienlandschaft lässt zweifeln. Grund: Bei Abschiebungen haben die Länder viel Spielraum. Bayern etwa hält sich eine Hintertür für Abschiebungen während der Ausbildung offen.

Kaum Mehraufwand gegenüber deutschen Azubis

Wie sieht es in anderen Regionen aus? „Bei uns hat alles reibungslos geklappt“, sagt Marco Blank, Geschäftsführer der Fliesenpartner Blank und Lindner GmbH im niedersächsischen Horneburg bei Stade (siehe Aufmacherfoto). Das Unternehmen bildet seit Mitte 2016 einen Flüchtling aus: den 27-jährigen Sudanesen Taher Yousif Hamad.

Bürokratischen Mehraufwand spürte der Betrieb im Vergleich zu seinen deutschen Lehrlingen kaum. „Unsere Ansprechpartnerin bei der Handwerkskammer hat die nötigen Formalitäten mit den Behörden geklärt“, sagt Blank.

Bundesweit: diese Berater helfen Unternehmen

Aufgaben wie diese übernehmen bundesweit beispielsweise die Willkommenslotsen im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Mehr als 160 Lotsen stehen dafür zur Verfügung (die aktuelle Liste der Ansprechpartner finden Sie hier).

Handwerksbetriebe aus Niedersachsen finden zudem Beratung von ihrer Handwerkskammer im Rahmen des „Integrationsprojekts Handwerkliche Ausbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber“ (IHAFA). Eine den Beraterinnen ist Judith Kraus von der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Sie hat bereits diverse Flüchtlinge in Unternehmen vermittelt. Plötzliche Abschiebungen sind laut ihren Erfahrungen keinesfalls alltäglich.

Niedersachsen: Runderlass sorgt für Sicherheit

Für die korrekte landesweite Umsetzung des Integrationsgesetzes sorgt seit Februar 2017 ein neuer niedersächsischer Runderlass. Der stellt beispielsweise klar, unter welchem Schutz Flüchtlinge stehen, die an einer Einstiegsqualifizierung teilnehmen, aber noch keine Berufsausbildung begonnen haben: Vorausgesetzt, es besteht eine verbindliche Ausbildungszusage, sei den Flüchtlingen im Regelfall eine Ermessensduldung zu erteilen. Die Ausländerbehörden der Landkreise halten sich an die Landes-Vorgaben, berichtet die IHAFA-Projektleitung in Hildesheim. Lediglich vom Landkreis Lüneburg ist aktuell zu hören, dass er querschießt. Bis zum 1. Juli will der Landkreis keine Ausbildungsanträge genehmigen.

Doch nicht in jedem Bundesland regeln Runderlasse den Umgang mit Flüchtlingen. Beispielsweise in Sachsen-Anhalt? Doch scheint es auch hier keine Probleme mit plötzlichen Abschiebungen zu geben. „Wir beobachten ein kooperatives Verhalten“, sagt Kevin Kaiser, Abteilungsleiter Berufsbildung bei der Handwerkskammer Magdeburg. „Die Behörden versuchen, Entscheidungen im Interesse der Betriebe und Flüchtlinge zu treffen.“ Betriebe, die Fragen zur Beschäftigung von Flüchtlingen haben, finden Unterstützung bei der Ausbildungsberatung der Handwerkskammer Magdeburg.

Mittel gegen Behördenstress

Wie kann der Stress mit Behörden minimiert werden? IHAFA-Beraterin Judith Kraus rät Betrieben in Niedersachsen dazu, auf Flüchtlinge zurückzugreifen, die sich bereits in einer Qualifizierungsmaßnahme befinden: Flüchtlinge, die zum Beispiel bei den Willkommenslotsen oder im IHAFA-Projekt registriert sind, lassen sich in der Regel problemlos in ein Ausbildungsverhältnis überführen.

So wie bei Taher Yousif Hamad, dem Auszubildenden von Fliesenpartner Blank und Lindner. Hamad wurde im Rahmen des IHAFA-Projekts an den Betrieb vermittelt. Nach einem Probepraktikum war schnell klar, dass er sich für eine Ausbildung im dem Betrieb gut eignet. Geschäftsführer Marco Blank ist rundum zufrieden: „Taher Hamad ist immer der erste auf dem Hof, er ist hilfsbereit, sieht die Arbeit – und unsere Gesellen nehmen ihn gern mit auf die Baustellen.“

In der Praxis kommen Flüchtlinge auch über andere Wege in die Betriebe. „Oft sind es freiwillige Flüchtlingshelfer, die bei Unternehmen aus der Nachbarschaft anfragen, ob sie nicht Interesse haben“, weiß Judith Kraus. Sie empfiehlt: Stellen Sie Ihren Fall einem Berater der Willkommenslotsen oder des IHAFA-Projekts vor. Sie wissen, welche Anträge zu stellen sind. Eine Ausbildung oder Beschäftigung ist auch in diesen Fällen möglich, ohne dass Betriebe sich der Gefahr einer plötzlichen Abschiebung aussetzen.

Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung hat hilfreiche Handlungsempfehlungen und Checklisten zur Beschäftigung von Flüchtlingen als Angestellte oder Lehrlinge bereitgestellt. Die kostenlosen Handlungshilfen finden Sie hier.

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