Auf einen Blick
- Herausforderung: Investitionen in die IT sind nicht alles. Ohne eigene digitale Geschäftsmodelle verliert das Handwerk Kunden an Industrie und Handel. Denn sie holen bei Kundennähe und individuellen Produkten auf.
- Prioritäten: Mehr denn je gehören die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt jedes Geschäftsmodells. Erst dann lässt sich die Frage nach passenden Technologien und Partnern beantworten.
Wohin führt die Digitalisierung das Handwerk? Stefan Schnorr sieht nicht nur Potenzial, sondern auch eine große Gefahr: Es könnte zur „Spaltung“ kommen. Während die großen Unternehmen profitieren, könnten die Kleinen zurückbleiben, fürchtet der Abteilungsleiter Digital- und Innovationspolitik des Bundeswirtschaftsministeriums. Wer die Chancen der Digitalisierung jetzt nicht ergreife, „wird auf Dauer nicht mehr vorhanden sein, es ist fünf vor zwölf“, warnte er in einem Vortrag auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) in München. Dabei redet Schnorr nicht von der Wahl der passenden Software, 3D-Druck oder der Anschaffung einer Drohne. Entscheidend für den langfristigen Erfolg sei etwas ganz anderes: „Digitale Geschäftsmodelle werden das A und O sein.“
Druck von zwei Seiten: Industrie und Heimwerker rücken näher
Ist die Lage wirklich so ernst? Immerhin hat das Handwerk zwei Stärken, mit denen es bislang noch jede Veränderung gemeistert hat: individuelle Lösungen und Kundennähe. Doch ob das genügt? Georg von der Ropp hat Zweifel. Durch die Digitalisierung verlieren diese Stärken ihre Bedeutung, warnt der Experte für Digitale Geschäftsmodelle von der BMI Lab AG. Das Handwerk gerate zwischen die Fronten aus Industrie und Heimwerkern und beide rückten immer näher:
- Die Industrie schaffe mittels Digitalisierung immer individuellere Lösungen und baue zugleich immer engere Beziehungen zu den Endkunden durch eigene und vor allem datengesteuerte Services auf. Und dank digitaler Plattformen im Internet werde der Zugang zum Endkunden für sie immer leichter. Denn die Plattformen entscheiden, welche Leistungen angeboten werden und die Kunden erreichen.
- Auf der anderen Seite stehe der Trend zum Heimwerken: „Dieser Trend wird durch die Digitalisierung massiv vorangetrieben“, sagt von der Ropp. Know-how und hochwertige Werkzeuge seien immer leichter verfügbar. Das Know-how liefere Youtube mit unzähligen Erklär-Videos. Und professionelle Werkzeuge könne man sich teilen (englisch: sharing), was durch digitale Sharing-Modelle auch immer einfacher werde.
Deswegen ist für von der Ropp klar: „Digitale Geschäftsmodelle werden wichtiger als Produkte oder Dienstleistungen.“
Herausforderung: Geschäftsmodelle vom Kunden her denken
Doch wie entwickelt man ein digitales Geschäftsmodell? Statt von den eigenen Produkten oder Dienstleistungen auszugehen, sollten Betriebe die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt stellen, rät von der Ropp. Es gehe darum, echte Kundenbedürfnisse zu erkennen und dafür mit Hilfe der Digitalisierung Lösungen zu schaffen. Im Prinzip gehe es immer nur um vier Fragen:
- WER ist meine Zielgruppe?
- WAS für Bedürfnisse hat diese Zielgruppe?
- WIE kann ich diese Bedürfnisse befriedigen? Mit welchen Angeboten, Technologien und Partnern?
- WARUM lohnt sich das für mich – und meine Partner? Wie verdienen wir damit Geld?
In den letzten Jahren habe bei allen Digitalisierungsdebatten die Einführung von IT zu sehr im Mittelpunkt gestanden, ohne dass der Nutzen für die Kunden erkennbar gewesen sei. Doch erst, wenn feststeht, mit welchem Geschäftsmodell für welche Kunden welcher Nutzen geschaffen werden soll, könne man die Frage nach der passenden Technologie beantworten.
Beispiel Holzgespür: Eine Tischlerei macht es vor
Dass auch Handwerker selbst digitale Geschäftsmodelle entwickeln können, zeigt zum Beispiel die Tischlerei Kasper aus Rhens bei Koblenz: Der Sieben-Mann-Betrieb von Tischlermeister Hermann Kasper hat sich auf Treppen und Möbel aus Massivholz spezialisiert.
Ein digitales Geschäftsmodell für die Tischlerei hat Tochter Julia Kasper entwickelt: eine Online-Plattform für individuelle Massivholz-Möbel. Unter holzgespuer.de können Kunden ihr Möbelstück individuell gestalten: Mit einem 3D-Konfigurator kann ein Kunde zum Beispiel einen Tisch mit Maßen, Holzsorten und Oberflächenbehandlung individuell gestalten. Dabei kombiniert Holzgespür die Stärken eines Handwerksbetriebs mit denen des Internets: schnell und einfach plus individuell und persönlich. Beratung gibt es per Chat und E-Mail. Die Kunden können sich Holzmuster senden lassen, um zu sehen, was zu ihrem Zuhause passt. Per Videobotschaft können sie sogar einen persönlichen Baumstamm aussuchen und die Herstellung des Tischs verfolgen. Und schließlich liefert das Team der Tischlerei die Möbel auch selbst aus.
Entscheidend für die Idee war die Frage nach den Kundenbedürfnissen, sagt Julia Kasper: Einerseits wollen Kunden individuelle Möbel und persönliche Beratung. Andererseits führt der erste Weg die meisten ins Internet: „Wir wissen, dass 80 Prozent aller Kunden online gehen, bevor sie neue Möbel kaufen. Wer nicht online ist, der hat keine Chance am Markt.“
Kompetenzzentrum Digitales Handwerk hilft
Unterstützung bei der Entwicklung neuer digitale Geschäftsmodelle bietet das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk.
Als eins von vier begleitet das Schaufenster Ost Handwerksbetriebe bei der Erweiterung ihrer Dienstleistungen und der Entwicklung neuer Service-Ideen. Handwerksbetriebe erhalten hier kompetente Antworten auf die Fragen:
- Wie können mit Hilfe von digitalen Technologien neue Kundengruppen und Absatzmärkte erschlossen werden?
- Wie können Produkte noch individueller und nach Vorstellungen des Kunden gefertigt werden?
- Wie können Abläufe so strukturiert werden, dass die Qualität und
- kurze Reaktionszeiten gesichert sind?
Mehr Informationen zu den Angeboten des Kompetenzzentrums Digitales Handwerk unter handwerkdigital.de.
Auch interessant: